Meine Helden des Zügelalltags
Stadtblog im Tages Anzeiger, 08.05.2018
«Meine Helden des Zügelalltags»
Zügeln ist grausam. Zum Glück gibt es jene, die einen in dieser Situation fürsorglich unterstützen. Eine Hymne auf das Handwerk: Ohne diese Frauen und Männer wäre Zügeln noch schlimmer.
Seit zwei Wochen lebe ich in der Agglo. Und es gefällt mir in der Agglo. Sehr sogar. Allerdings möchte ich nicht vorschnell und unqualifiziert meine Spontan-Eindrücke schwarz auf weiss verewigen, bevor ich geklärt habe, ob meine Wahrnehmung unter dem Allem-Anfang-wohntein-Zauber-inne-Einfluss steht oder tatsächlich die Agglo-Wirklichkeit spiegelt. Deshalb wende ich mich einem Übergangsthema zu: Zügeln.
Es lässt sich in einen kurzen Satz packen: Zügeln ist grausam. Hinzu kommt: Zügeln ist zwar für die Betroffenen eine Plage, für alle anderen ist das Thema jedoch von beschränkter Faszination. Deshalb wird hier justiert, inhaltlich wie punkto Tonalität – es ist nun nämlich der Moment für eine Hymne gekommen, man sehe mir nach, dass ich mich ein paar Zeilen lang der Zurückhaltung entledige.
Es ist eine Hymne auf das Handwerk – auf das Schreiner-, Maler- oder Elektriker-Handwerk. Es ist eine Hymne auf das Baustellenpersonal, welches die Zügelei erst ermöglicht, indem es die neue Wohnung präpariert – Männer und Frauen, manche noch in der Lehre, andere mit der Erfahrung von Jahrzehnten, alle beseelt von einer Leidenschaft und einem Willen zur Gründlichkeit, die ihresgleichen sucht.
Da wird mit geradezu chirurgischer Präzision gemalt, werden mit feinen Pinseln schadhaften Stellen im alten Haus geflickt, und am Ende, wenn das Werk vollbracht ist, steht der Maler davor, mustert seine Arbeit, bittet um temporäres Nicht-Berühren und erklärt fast entschuldigend: «Das liegt mir jetzt eben wirklich sehr am Herzen.»
Und dann – als zweite Strophe der Hymne: ein Hoch auf die Zügelmänner. Man stelle sich vor: ein Haus, dessen Sanierung noch nicht ganz vollendet ist, weshalb weiterhin Handwerker verschiedenster Gattung durch die Zimmer eilen. Ein altes Haus mit engem Treppenhaus und noch engerem Aufgang zum Estrich. Eine fünfköpfige Familie mit nicht wenig Umzugsgut.
Und jetzt? Herr Ramos hilft.
Herr Ramos und seine Männer haben unter denkbar anspruchsvollen Bedingungen nicht eine Sekunde lang ihre fröhlich-freundliche Gelassenheit verloren. Sie haben nicht ein Glas, nicht einen Teller, nicht sonst etwas beschädigt. Sie sind nicht ein einziges Mal gegen eine Wand oder eine Tür gestossen, kein Schaden, nirgends. Und auf jeden Spezialwunsch dieselbe Antwort: «Kein Problem, machen wir» – selbst wenn der Spezialwunsch beinhaltete, dass ein Tisch, den man soeben ins Obergeschoss gewiesen hatte, der dort aber nicht wirklich gefiel, doch bitte in den Keller zu verfrachten sei.
Mag sein, dass einen die – dem Zügeln wesenhafte – Überforderung, gepaart mit der Dankbarkeit gegenüber jenen, die einen in dieser Situation fürsorglich unterstützten, etwas pathetisch macht. Aber vielleicht schadet ein bisschen Pathos auch gar nicht. Darum: Herr Ramos, seine Männer und überhaupt die ganze Handwerkertruppe – sie sind meine Helden.